Sommerzeit – eine Zeit zum Auftanken, zum „Gedanken-schweifen-lassen“, zum Durchatmen – auch wenn das bei den heißen Athener Temperaturen vielleicht schwerfällt. Aber wenn man dann am Wasser sitzt und der Wind den Kopf kühlt, dann bekommen die Gedanken und Gefühle Raum, die der Alltag gerne an den Rand schiebt. Manchmal gehen sie zurück in vergangene Zeiten. Zu dem, was gutgetan hat. Zu dem, was weh getan hat.
Dafür habe ich drei ganz unterschiedliche Texte gefunden, die uns schöne und ehrliche Perspektiven für das Leben entdecken lassen. Sie sind etwas länger, aber vielleicht haben Sie in dieser Sommerzeit auch mehr Zeit für das Lesezeichen.
Der erste Text stammt aus einem Lied von Julia Engelmann. Diese junge Frau kam bei ihrer „Bestandsaufname“ zu folgenden Ergebnissen:
So, Bestandsaufnahme Teil eins von drei: was ich nicht hab‘
Ich hab’ keine Schokoladenseite, keine Macht
Keine Kneipe, kein Plan B, kein Plan A
Kein Wunschpunkt, wenn ich „Gatsmas“ sage
Kein gutes Bauchgefühl, weil ich’s mit Hunger verwechsel
Ich hab‘ kein Ordnungsempfinden, obwohl ich Ordnung sehr schätze
Ich hab‘ kein Swag, kein Sixpack, keine Big Band, Nickname, Big Mac
Ich hab‘ keine Straße, kein‘ Bezirk, kein‘ Block
Bin nicht bei Tinder, hab‘ auch sonst nie gebloggt
Ich hatte nie genug Mut, beim Flaschendrehen die Flasche zu drehen
Ich hab‘ noch nie Sternschnuppen, nie Glühwürmchen, nie Titanic geseh’n
Ich kann nicht Namedroppen, Partyhoppen
Nicht smalltalken, nicht moonwalken
Ich hab‘ kein x-Faktor, egal ist nur ein Wort mit einem x davor
Mein Facebook ist nicht die Chronik von Narnia
Wer weiß, vielleicht hab‘ ich kein Karma
Bestandsaufnahme Teil zwei von drei: was ich hab‘, aber nicht will
Ich hab‘ so bescheuert viel Angst, mich falsch zu entscheiden
Irgendwo wegzugehen, wenn ich mir eigentlich gerade nur wünsche zu bleiben
Angst Fehler zu machen, auch wenn ich weiß, dass sie wichtig sind
Angst zu spät zu bemerken, welche Wege doch richtig sind
Angst davor wie schnell die Zeit vergeht, dass ich sie nicht richtig nutze
Angst, dass ich nicht umsetzen kann, was mir eigentlich lange bewusst ist
Und was ich noch hab‘ ist das Gefühl, alle Anderen sind besser
Oder wenigstens etwas, weil ich muss leider ziemlich oft feststellen
Millionäre sind reicher, alte Menschen weiser
Luft ist luftiger, leichter, Äpfel fruchtiger, reifer
Das Meer berauschender, Einhörner flauschiger, Kleber klebriger
Bäume sind ewiger, als ich
Und ich mag dich mehr, als du mich
Bestandsaufnahme Teil drei von drei: was ich hab‘
Ich hab‘ so viele Dinge, viel mehr als ich er- und vertrage
Mehr Schmuck als ich eigentlich trage
Und ein Einrad, mit dem ich nie fahre
Ich hab‘ Augen, die, was ich betrachte, auch tatsächlich sehen
Und Beine, die stolpern und tanzen oder tatkräftig gehen
Ich hab‘ ein Leben, das endlich ist
Und nicht selbstverständlich ist
Eine Seele, vielleicht, auch wenn der Gedanke befremdlich ist
Ich hab‘ noch was, das vergesse ich oft
Dann muss ich mich wieder besinnen
Ich habe tausend Gründe zum lachen, bloß einen zum weinen
Und vor allem so viel zu gewinnen
So viel zu gewinnen
Ich bin glücklich
Ich bin glücklich
Und ich weiß, ich hab‘ dich nicht, und doch hab‘ ich mehr als gedacht
Ich bin glücklich
Was für ein schönes Fazit einer „Bestandsaufnahme“. Sie können es sich übrigens von Julia Engelmann auf YouTube vorsingen lassen:
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Sehr schön!
Das Leben ist nicht Entweder-oder. Es ist Sowohl-als auch. Manch Schweres tragen wir mit uns herum: „Was wir nicht haben. Was wir haben, aber nicht wollen.“ Aber dann ist da auch das, „Was wir haben“. Wie gut, wenn wir mit der Sängerin zu dem Ergebnis kommen können: „Ich bin glücklich!“ – und das gleich dreimal!
Mit der gleichen Frage beschäftigt sich Christina Brudereck in einem wunderbaren kleinen Buch „Trotzkraft“. Darin schreibt sie von der „Wissenden Sprache“:
„Können Blessuren ein Segen sein?
Einfach. Weil ich bei ‚bless‘ an segnen denke?
Auch wenn ‚blesser‘ im Französischen verwunden meint
Und blessé verletzt heißt, nicht gesegnet?
Aber wer weiß schon genau –
Vielleicht wissen die Sprachen, was sie sagen,
weil sie mehr wissen?!
Bleh. Indoeuropäisch, Blühen.
Bletsian. Altenglisch. Mit Blut besprenkeln.
Blessuren. Deutsch. Spuren.
Blessiert, verletzbar und gesegnet sind wir.
Und das gehört zusammen.
Wenn nicht in eine Vokabel, dann doch in einer Seele.“
Jesus hat uns das vorgelebt und Paulus hat deshalb die Menschen in Philippi aufgefordert, die stärkenden Seiten des Lebens nicht aus dem Blick zu verlieren:
„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.“ (Phil4,4ff)
So sei es! Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen einen erholsamen und stärkenden Sommer, in dem Sie als Ergebnis Ihrer persönlichen Bestandsaufnahme auch für sich sagen können: „Ich bin glücklich!“
Pastor Kurt Riecke