Die Frage der Fragen

Am Donnerstag dieser Woche wird das neue Schuljahr an der Deutschen Schule in Athen mit dem „Agiasmos“ durch den orthodoxen Priester eröffnet. Die liturgische Feier mündet ein in eine kurze Andacht, die vom katholischen Pfarrer und mir gestaltet wird. Was sollen wir den Schülerinnen und Schülern mitgeben? Im letzten Jahr stand bei dieser Gelegenheit das Thema Krieg und Frieden im Mittelpunkt: Krieg führt in eine Sackgasse. Stoppt den Krieg!

Diesmal werden wir ein mehr persönliches Thema ansprechen, das uns für die Jugendlichen sehr wichtig erscheint. Wir gehen von einem Zitat des dänischen Philosophen und religiösen Schriftstellers Sören Kierkegaard (1813-1855) aus: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

Die Jugendlichen sind oft noch nicht so stabile Persönlichkeiten. Sie vergleichen sich oft mit anderen und denken z.B.: Wie langweilig ist doch mein Leben, während andere so viel Spannendes erleben! Warum ich nicht?

Oder sie fragen sich: Warum hat die andere schon einen festen Freund und ich nicht? Bin ich nicht so attraktiv?

Oder sie stehen unter Leistungsdruck: Ich bin wohl nicht gut genug und werde es nie schaffen. Ich muss mich doch gegenüber anderen behaupten, um meine zukünftigen Karrierepläne vorzubereiten.

Demgegenüber macht der Satz von Kierkegaard deutlich: Wer vergleicht, der hat schon verloren. 

Wer seinen Wert nur sieht, indem er oder sie sich mit anderen vergleicht und besser dastehen will als andere, hat vergessen, dass jeder Mensch etwas Besonderes ist, mit je besonderen Fähigkeiten, Talenten und liebenswürdigen Ecken und Kanten. Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes – einzigartig, beschenkt von Gott, dessen Liebe allen Menschen gilt. Darum sieh das Stoppschild, wenn du anfängst, dich zu vergleichen, oder andere, z.B. Eltern oder die Schule selber anfangen, dich in einen Wettbewerb mit anderen zu treiben. Wettbewerbe können ein Ansporn sein, aber sie sind oft grausam. Das Leben soll kein Wettkampf sein. Ein Fußballspiel ist ein Wettkampf, aber es ist nur ein Spiel.

Das möchten wir den Jugendlichen vermitteln. Aber es betrifft natürlich nicht nur sie, sondern auch und oft noch viel mehr die Erwachsenen. Auch sie vergleichen sich so oft mit anderen und verfehlen dabei sich selber.

Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph, erzählt eine Geschichte aus der jüdischen Tradition unter der Überschrift „Die Frage der Fragen“: Rabbi Sussja spricht auf seinem Sterbebett: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Sussja, warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird mich auch nicht fragen: Warum bist du nicht David gewesen? Man wird mich fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen?“

Pastor Peter Oßenkop