Vor kurzem hörte ich ein nicht ganz neues Lied von Udo Lindenberg, ja, von einem Sänger, an dem sich die Geister scheiden. Aber in der ihm so eigenen Sprache (und ihm sehr eigenen Gesangsstil) sind seine Texte doch ausdrucksstark.
Das Lied aus dem Jahr 2021 hat den Titel „Kompass“, hier die 1. Strophe und der Refrain.
Immer schon, solang ich denken kann
Kenn‘ ich dieses Bauchgefühl
Das mir meine heißen Spuren zeigt
Und überhaupt, wohin ich will
Manchmal hab ich’s nich‘ so ernst genomm’n
Den falschen Geistern nachgejagt
In der ganzen Action kriegt man nich‘ immer mit
Was die innere Stimme sagt
Und dann kommt man ins Schleudern
Und nichts geht mehr
Aber dann wird mir wieder klar
Von Norden bis Süden, von Ost bis nach West
Hab ich was dabei, das mich nie hängen lässt
Auch wеnn sich das Chaos wie wild um mich dreht
Mein Hеrz ist mein Kompass und zeigt mir den Weg
Er ist immer da, in jedem Moment
Auf diesem Trip, den man das Leben nennt
Und wenn ich mal durchdreh‘, nich‘ weiß, wohin’s geht
Mein Herz ist mein Kompass
Und zeigt mir den Weg
Manche mögen es vielleicht auch kitschig finden.
Was macht denn das Herz aus, abgesehen davon, dass es schlägt und uns am Leben hält?
Was ist denn da drin im Herzen? – Und da kommen mir Ausdrücke und Sprüche in den Sinn: in einer bestimmten christlichen Ausrichtung sprechen die Gläubigen davon, Jesus in ihr Herz aufzunehmen.
Das mag fremd klingen, aber doch eine schöne Vorstellung, ja, ich sage auch im übertragenen Sinne, aber ihn dort wohnen zu lassen, hat doch durchaus gute Auswirkungen:
Im Buch Sprüche im Alten Testament heißt es in Kap. 1
1 …, vergiss meine Weisung nicht, und dein Herz behalte meine Gebote, 2 denn sie werden dir langes Leben bringen und gute Jahre und Frieden; 3 Gnade und Treue sollen dich nicht verlassen. Hänge meine Gebote an deinen Hals und schreibe sie auf die Tafel deines Herzens, 4 so wirst du Freundlichkeit und Klugheit erlangen, die Gott und den Menschen gefallen.
Langes Leben, gute Jahre, Gnade und Treue, Freundlichkeit und Klugheit – und damit auch noch Gott und den Menschen gefallen …
das Herz als Kompass
in einer Welt, in der Hartherzigkeit gerade „in“ zu sein scheint, mehr denn je.
Und was sind diese Gebote auf die Tafel meines Herzens geschrieben?
Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt…und deinen Nächsten wie dich selbst – so die Zusammenfassung würde ich sagen.
Und dass uns das Herz aufgeht und überquillt vor lauter Freude, das geht ja besonders gut im Monat Mai, –
wie es im Gedicht von Erich Kästner „Der Mai“ mit großartigen Worten zu lesen ist:
Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend, über Land.
Es überblüht sich, er braucht nur zu winken.
Er winkt! Und rollt durch einen Farbenhain.
Blaumeisen flattern ihm voraus und Finken.
Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein.
Die Apfelbäume hinterm Zaun erröten.
Die Birken machen einen grünen Knicks.
Die Drosseln spielen, auf ganz kleinen Flöten,
das Scherzo aus der Symphonie des Glücks.
Die Kutsche rollt durch atmende Pastelle.
Wir ziehn den Hut. Die Kutsche rollt vorbei.
Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle.
O, gäb es doch ein Jahr aus lauter Mai!
Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.
Er nickt uns zu und ruft: „Ich komm ja wieder!“
Aus Himmelblau wird langsam Abendgold.
Er grüßt die Hügel, und er winkt dem Flieder.
Er lächelt. Lächelt. Und die Kutsche rollt.
Pfarrerin Iris Kaufmann