Gesten – nicht nur für Gäste
Wir waren wieder im Gespräch, in der geschätzten, geliebten Literaturgruppe. Es ging um die kleinen Zeichen der Körpersprache, wir waren verwickelt durch einen spannenden Autor, der über eine seelische Krankheit einen fesselnden Roman geschrieben hat.
Bald waren wir in eine Debatte über „nonverbale Kommunikation“ geraten. Welche Rolle spielen also die Gesten, der Körperausdruck, bei dem, was gesagt und verhandelt wird? Eine große.
„Heißt es eigentlich Gesten oder Gesten“, fragte eine aus der Gruppe. Sie meinte Geste mit langem „e“ oder Geste mit kurzem „e“, also ausgesprochen wie das Wort „Gäste“.
Schnell waren wir uns einig: Geste natürlich, also mit langem „e“. Da kann es keine Verwechslung geben, die Geste ist etwas ganz anderes als die Gäste, klar. Doch die Assoziation zu „Gäste“ fanden wir spannend.
Die „Geste“ stammt in ihrer Sprachbedeutung aus dem lateinischen gestus, ist im 15. Jahrhundert in die deutsche Sprache eingewandert und bezeichnet das Gebärdenspiel eines Schauspielers, Schaustellers oder auch Redners.
Unwillkürlich ist mir Marcel Marceau eingefallen, der weltberühmte französische Pantomime, der als „Pic“ mit seinem Ringelhemd, dem weiß geschminkten Gesicht, der roten Blume auf dem schon recht ramponierten Seidenhut Millionen Menschen verzauberte. Er konnte mit seiner Mimik ganze Räume entstehen lassen, Gegenstände hervorrufen oder verschwinden lassen, wenn er etwa eine Leiter bestieg oder sich an einem Abgrund wähnte.
Die Geste als solche mag unscheinbar sein, sie hat immer eine Wirkung, denn sie ist mit Gefühlen verbunden. Wir kennen eine Fülle von Gesten, die einladende natürlich, die theatralische, die ausladende Geste, die hilflose Geste, die wütende, die liebende…
Wie begegne ich in meinem Alltag Menschen? Die Gesten spielen eine wichtige, oft sehr unterschätzte Rolle. Mein offenes Gesicht, mein zugewandter Blick, ein Lächeln gar macht Vieles im Alltag leichter und schöner, für alle Seiten. Die kleinen Gesten des Alltags sind es, die unserem Leben zusätzlich Kraft geben, erzeugen gute Reibung.
Sie sind „nonverbale Kommunikation“ für mein Gegenüber, und darin lassen sich Botschaften der Freundlichkeit, zugewandter Aufmerksamkeit versenden. In dieser Gegenwart der oft überfordernden Polarisierungen einer mit sich im Hader liegenden Welt sind die kleinen Zeichen der „Gesten“ eine Kraftquelle. Es kommt ja etwas zurück, wenn ich „nonverbal“ freundliche Blicke schenke. Das ist in aller Regel so.
Wir werden dann zu einem guten „Gastgeber der Gesten“. Wie wir wissen und es aus den Psalmen unserer Vorfahrenden im Glauben nachlesen können: Auch wir sind „Gast auf Erden“ (Psalm 119,19).
Pfarrer i.R. Martin Bergau