Post verschicken
Ein Brief. Handgeschrieben. Ohne Floskeln, also über mehrere Seiten. Einmal im Jahr schreiben wir uns einen solchen Brief: Mein langjähriger Freund in der Ferne und ich. Und das immer zum jeweiligen Geburtstag, seit Jahrzehnten. Ich kann mich nicht erinnern, dass dieser jemals fehlte, wenn auch mitunter nicht ganz zum Tageszeitpunkt, bei ihm wie bei mir. Wir sind da ganz gelassen. Er kommt immer.
Wir können uns gelegentlich besuchen, wir teilen Apps oder Mails. Doch „der Brief“ – das ist ein wechselseitiges Geschenk, das zum Jahrestag gehört, kostbar, wertvoll und dann immer wieder gelesen und bedacht. Zumal wir wissen, dass wir uns weiter darüber austauschen werden, spätestens beim nächsten Treffen. Jede Zeile hat also ihr eigenes Gewicht.
Diesmal kam eine App zuvor: „Der Brief ist noch in Arbeit…“ Ich musste schmunzeln. „Arbeit“ soll ein Brief ja eigentlich nicht machen, doch ich wusste genau, was er meinte, kenne ich es doch umgekehrt genauso. Was von Herzen geht und dann schwarz auf weiß da steht, den anderen anspricht und ohne ein Drumherum auskommen kann, will bedacht sein. Also „Arbeit“.
Es tritt aber noch ein Wesentliches hinzu, und das macht erst den besonderen Charakter aus. Jeder Brief ist einer von Hand. Mit den Lebensjahren wird die eigene Handschrift ja immer individueller, als schreibe das Leben selbst mit, wenn sich die Buchstaben aneinanderreihen. Genau das macht einen Brief schön, gibt ihm die eigene Prägung. Manchmal lässt sich an der anderen Tintenfärbung ablesen, dass eine Pause gemacht wurde. Oder ein Wort bedarf einer kleinen Exegese, damit es aus der persönlich geprägten Schriftform herausgelesen werden kann – wunderbar. Ich liebe es.
Ich erlebe es auch so, dass sich beim Schreiben mit Stift die Gedanken anders formen, Pausen unwillkürlich entstehen. Das ist einfach ein eigener Prozess.
„Mail“ heißt übersetzt „Post“. So hilfreich es oftmals ist, rasch eine Mail versenden zu können, sich zurückmelden zu können, so sehr wissen wir, wie die Kommunikation allgemein an Beschleunigung zugenommen hat, die uns mitunter auch bedrängt. Gewiss, verzichten wollte auch ich darauf nicht, keine Medienschelte an dieser Stelle. Doch wie nüchtern platzieren sie sich auf dem Bildschirm, jeder Buchstabe fremdgeformt.
Die gute Kehrseite: Jeder handgeschriebene Brief, jeder eigene Text auf der Postkarte wird immer mehr zu etwas Besonderem. Und das ist die große Chance der Briefe: Schreiben, was mir von Herzen geht. Bedenken, was ich sagen will. Meine Verbundenheit spüren und gestalten. Aneinander denken und ein Wir entstehen lassen.
Ein Brief kann so viel.
Pfarrer i.R. Martin Bergau