Alles muss klein beginnen
Unvermutet kam es mir wieder in den Sinn. Nach sehr langer Zeit. Warum und woher? Fragen, Fragen. Jedenfalls war die Melodie wieder in meinem Ohr, auf meinen Lippen, im Gesang: „Alles muss klein beginnen…“ Das Lied kann man nur mit Bewegungen singen, mit Klatschen, Schnipsen, mit Stampfen. So beginnt das Lied:
Alles muss klein beginnen
Lass etwas Zeit verrinnen
Es muss nur Kraft gewinnen
Und endlich ist es groß.
Gesungen habe ich es mit vielen Kindern auf den Kinderwochen in meiner damaligen Gemeinde. Das ist lange her. Die Kinder haben jetzt oft schon selbst Kinder. Damals waren sie klein. Niemand kann das Lied kraftvoller singen als sie. Da bebte der Boden des Gemeindehauses!
Gerhard Schöne, geboren in Coswig, hat das Lied 1988 geschrieben. Auf den Kirchentagen habe ich es näher kennengelernt. Das Lied wurde in der damaligen DDR von der „Jungen Gemeinde“ gesungen. Es gehörte zu den Liedern, die geradezu prophetisch die friedliche Revolution ankündigten, die Einheit Deutschlands. Das alles haben wir nicht geahnt, als wir das Lied entdeckten. Doch nur wenig später wurde Wirklichkeit, was es besang.
Und so geht das Lied weiter:
Schau nur dieses Körnchen
Ach, man sieht es kaum
Gleicht bald einem Grashalm
Später wird’s ein Baum.
In einem Gleichnis ist dieser Gedanke enthalten. Was hat es mit dem Reich Gottes auf sich? „Es ist wie ein Senfkorn: wenn das gesät wird aufs Land, so ists das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden. Und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, so dass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.“ (Markus 4, 31f.)
So viel Erwartung! So viel Werden! Im Lied wird nicht nur das Motiv vom Samenkorn aufgegriffen, sondern auch von der Schneeflocke, einer kleinen Quelle ebenso. Ihre Kraft! Und dann ein neuer Gedanke:
Manchmal denk ich traurig
Ich bin viel zu klein
Kann ja doch nichts machen
Und dann fällt mir ein
Erst einmal beginnen
Hab ich das geschafft
Nur nicht mutlos werden
Dann wächst auch die Kraft
Und dann seh ich staunend
Ich bin nicht allein
Viele Kleine, Schwache
Stimmen mit mir ein
Alles muss klein beginnen…
Warum kommt mir das Lied in den Sinn, gerade jetzt? In dieser verstörenden Zeit voller Unfrieden, Konflikten und Ängsten? All das Sorgen und Ängstigen ist ja auch in mir. Gut, dass das Lied nun wieder in meinem Herzen und auf den Lippen angekommen ist. Es hilft mir, in anderen und auch in mir Kraft zu sehen, gewiss, klein mag sie sein und auch begrenzt. Manchmal reicht sie nur in meine kleine Welt, die ich überschauen kann, im Alltag. Doch sie ist da und gibt sie nicht auf, die Sehnsucht nach einem tragfähigen Frieden in der Welt und vor meiner Haustür.
Das will ich gelten lassen, wenigstens für heute.
Habe ich Sie neugierig gemacht? Hier der Link zum Hören und Mitsingen. Schnipsen und Stampfen ist auch erlaubt. Der Nachbar unter Ihnen wird es verkraften.
Gerhard Schöne-Alles muss klein beginnen https://www.youtube.com/watch?v=MxJi38bl6QE
Pfarrer i.R. Martin Bergau