Gehör schenken
„Anfang des rechten Lebens ist das rechte Hören.“ So fasst Plutarch, der berühmte griechische Philosoph und Geschichtsschreiber des 1. Jahrhunderts, seine Abhandlung über das Hören zusammen. Einander zuhören und nicht weghören, das ist etwas, was uns Menschen gut tut. Wenn ein Mensch nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen hört, entsteht eine tiefe, herzliche Verbindung zwischen Menschen. „Neige deines Herzens Ohr!“ Das wünscht sich von seinen Brüdern der Klostergründer und Mönchsvater des Abendlandes, Benedikt von Nursia, im 6. Jahrhundert.
Zuhören will geübt sein: Es braucht einen Raum der Ruhe, in dem man sich Zeit füreinander lässt. Es braucht ein offenes Herz, Zuwendung, Zuneigung. Nötig ist, dass ich als Hörender einen langen Atem habe und nicht eilig auf ein Gesprächsergebnis dränge.
Heute schreibe ich über das Zuhören aus einem besonderen Anlass: Vor einigen Tagen ist eine umfangreiche Untersuchung zu Fällen von Missbrauch und sexueller Gewalt in der evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlicht worden. Das Erschrecken über das, was da ans Licht gebracht wurde, ist groß. Es lässt sich viel dazu sagen: über Macht und Abhängigkeitsverhältnisse in der Kirche, über Verharmlosung und Vertuschung, über seelische Verwundungen, die kaum geheilt werden können.
Ich habe mich gefragt, was es da für mich zu lernen gibt und für uns als Gemeinde in Athen. Ganz wesentlich ist, dass man den Betroffenen Gehör schenkt, dass man sie ernst nimmt und sie nicht mit Beschwichtigungen und Erklärungen überschüttet. Das ist nämlich etwas, was den Opfern von sexueller Gewalt nicht gewährt wurde: Sie fanden oft nicht Gehör. Ihnen wurde nicht mit der nötigen Bereitschaft, sie ernst zu nehmen, begegnet, so dass sie sich ihrerseits nur schwer öffnen konnten. Die Angst, der gute Ruf der kirchlichen Institution würde beschädigt, und die Fürsorge für die Täter standen zu oft im Vordergrund. Und leider nicht die Zuneigung des Herzens und die Empathie mit den Opfern.
Vieles gibt es in unserer Medienwelt zu hören, vieles will unsere Aufmerksamkeit; oft ist es mir zu viel. Aber ich darf mich nicht meinen Mitmenschen verschließen, die Gehör brauchen und es zu Recht von mir erwarten.
Pastor Peter Oßenkop