LESEZEICHEN zum 15.09. von Pfarrer Oßenkop.
Die Losung für Mittwoch, 15.09.2021 lautet:
Du wirst ferne sein von Bedrückung, denn du brauchst dich nicht zu fürchten, und von Schrecken, denn er soll dir nicht nahen.
Jesaja 54,14
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Ein Ritual, um Frieden zu finden
In dieser Woche war ich auf dem Friedhof im Norden Athens. Eine griechische Familie hatte mich gebeten, zum Gedenken an den vor einem Jahr verstorbenen Ehemann und Vater zu kommen. Er war Deutscher gewesen, evangelisch.
Ich hatte zwar von der griechisch-orthodoxen“Mnemosyne“, dem Totengedenken, gehört, wusste aber nicht, was genau da geschieht und was ich als Pastor zu tun und zu sagen habe. Ich habe getan, was ich für sinnvoll hielt: Mit einigen Worten habe ich an den Toten erinnert, was er für die Familie bedeutet hat und wofür sie dankbar sein kann, habe den Schmerz über den Verlust nicht verschwiegen und habe um den Frieden Gottes für beide gebetet, für den Verstorbenen und für die Hinterbliebenen. Ich habe den Segen Gottes zugesprochen: Gott hört nicht auf, für uns da zu sein. Die Liebe ist stärker als der Tod.
Ich hoffe, dass solche Sätze den Anwesenden gut getan haben und dass diese Andacht Frieden in ihre Herzen gelegt hat. Ich finde es schade, dass im evangelischen Bereich solch ein Totengedenken nicht üblich ist. Es gibt zwar seelsorgerliche Begleitung für die Hinterbliebenen, ein Besuch, ein Telefonat; aber oft ist mit der Trauerfeier bzw. der Beisetzung auf dem Friedhof alles „erledigt“, zumal wenn die Angehörigen anderswo wohnen. Wie gut, dass es in Griechenland solch ein Ritual gibt, zu dem die Familie zusammenkommt! Wie gut, dass es einen Ort des Gedenkens für dieses Ritual gibt: das Grab auf dem Friedhof und z. B. nicht ein anonymes Gräberfeld! Wie gut, dass die Hinterbliebenen nach einem oft schmerzlichen Jahr der Trauer, des Alleinseins, des Schweigens und womöglich auch der Schuldgefühle ein Wort und ein Zeichen des Segens erfahren: Ihr könnt den Verstorbenen loslassen in den Frieden Gottes hinein. Er ist im Frieden Gottes, und ihr seid es auch. Der Lebensweg unter dem Segen Gottes kann weitergehen. Die Menschen können versöhnt weitergehen, ohne Hader, ohne Belastendes, ohne Vorwürfe oder alte Rechnungen, die noch beglichen werden müssten: Ihr seid umgeben vom Frieden Gottes, von der Liebe Gottes, die nicht aufhört.
Dafür ist solch ein Ritual gut. Ich lerne von der orthodoxen Praxis: In der evangelischen Kirche haben wir zu wenig Rituale, die den Menschen die Möglichkeit geben, zum Frieden zu finden.
Peter Oßenkop