Klänge zum Himmel hinauf
Frühmorgens am Sonntag läuten die Glocken der griechisch-orthodoxen Kirche Agios Nikolaos, mit kurzen, energischen und kraftvollen Schlägen. Wer dann noch nicht wach ist, wird es. Doch ich als Frühaufsteher höre von der Terrasse meiner Pfarrwohnung in der Sina aus, in der Regel gefrühstückt, sehr gut. Manchmal verweile ich dort und lausche nur. Lausche den Klängen der bald gesungenen Psalmodien, die sich sphärisch in die Umgebung der Stadt weiten. Ihr Klang ist klar und spürbar in den Klangtraditionen der geschulten Stimmen geborgen. Über Jahrhunderte sind sie gepflegt, gelernt, weitergegeben und empfangen.
Kinder hören sie von klein auf, Erwachsene mögen in der Rushhour ihres Lebens wenig Zeit für sie haben, aber im Älterwerden erfüllen sie sich sicher mit neuem Glanz.
Ich habe immer nach einem Wort gesucht, um den Klang für mich zu beschreiben. Heute ist er mir eingefallen: Er hat etwas erdverbundenes, „erdig“ im guten Sinne, also von der Erde her gesungen. Ich höre darin auch meine Sehnsucht in Resonanz, wenn ich Psalmen lese, deren Geist mein eigenes Leben so gut zu beschreiben, ihm eine Antwort und auch immer wieder und oft mehr noch eine Frage zu geben vermag. Es sind die Worte der Schrift, die sich mit dem so eigenen, für meine Ohren durchaus fremden, aber faszinierenden Klang erfüllen.
Der Gesang erhebt sich, von der Erde, von unseren Befindlichkeiten hinauf in eine andere Sphäre, gewissermaßen zum Himmel hinauf. Das legt sich geradezu nahe, denke ich, lauschend der Fülle, wie sie sich über den ganzen neben der Kirche gelegenen Park erstreckt.
Es dauert nicht lang, dann bricht die evangelische Zeit, sonntags um 10 an. Der Organist, Chris Paraskevopoulos, ist längst vorher eingetroffen, in der Kirche, er prüft die Orgel, die Temperatur: ist alles in Ordnung, bald beginnt der Gottesdienst. Und dann fängt er an, sich einzuspielen.
Manchmal lösen sich die Klänge nahezu ab. Noch eben habe ich aus Agios Nikolaos den Psalmodien zugehört, dann ist für einen recht kurzen Moment Stille. Nicht lang, dann werden die Klänge abgelöst durch den Klang der Orgel, und Chris Paraskevopoulos liebt es durchaus, „alle Register“ zu ziehen. Das finde ich dann ganz prima, denn, nebenan auf der Terrasse, bleibt allemal genug an Hörgenuss, bevor es für mich selbst Zeit wird.
Die Orgel wird als „Königin der Instrumente“ bezeichnet, aber das sollte keines der kleineren abwerten. Doch es ist sehr besonders, zu hören, wie diese musikalische Vielfalt, in den beiden nebenan gelegenen Gotteshäusern, sich erdig zum Lobe Gottes, zum Himmel hinauf erhebt. Das ist an dieser Stelle einzigartig. Das Lob Gottes ist eben in vielen Sprachen und Tönen zu Hause.
Diesmal war es der Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, Bachwerke-Verzeichnis 691. Nur hören. Welch ein Sonntag.
Pfarrer Martin Bergau