Immer wieder finde ich kluge Gedanken bei dem Theologen und meinem alten Professor Fulbert Steffensky, dessen Lebensgeschichte durchaus nicht gradlinig verlaufen ist und der vielleicht gerade deshalb so menschenfreundlich spricht.
In einem Interview mit der „Tageszeitung „(taz) sagt er Folgendes:
„Wer wirklich gelebt hat, wird sich wohl an viele Stellen des Verrats erinnern. Es gehört zur Würde des Menschen, vor sich selbst die Augen nicht zu verschließen. Scham oder Reue sind Begriffe der Größe und Schönheit des Menschen. Es ist mir erlaubt, ein Verwundeter zu sein. Es ist mir gar erlaubt, Fragment zu sein.
taz: Das klingt bescheiden. Ist es so gemeint?
Die Qualität des Lebens liegt nicht in der gelungenen Ganzheit, nicht, dass ich ein mustergültiger Ehemann, Vater, Lehrer, Staatsbürger bin. Es gibt auch die Gnade einer gelungenen Halbheit. Das sage ich gegen allen Ganzheitsterror, den manchmal die Kirchen, manchmal noch mehr die Gesellschaft ausüben.“
Das sagt dieser Mensch mit fast 91 Jahren, und ich finde es beruhigend.
Er blickt auf sein Leben zurück und zieht dieses Resümee.
Die Gnade einer gelungenen Halbheit: Das ist auch Befreiung.
Das ist eine schöne Wortschöpfung. Auch die Halbheit kann ein Gefühl des Gelingens vermitteln.
Und auch Wilhelm Busch verschließt nicht die Augen vor sich selbst in seinem Gedicht „Die Selbstkritik“ – und das mit einem zwinkernden Auge:
Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab’ ich erstens den Gewinn,
Dass ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp’ ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff’ ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Dass ich ein ganz famoses Haus.
Pfarrerin Iris Kaufmann