Schaukasten
Der Schaukasten ist ein Relikt aus früheren Zeiten, so sagt man. Es gehen doch immer weniger Leute zu Fuß, sie haben es eilig, wer bleibt schon an einem Schaukasten stehen! Wer kann sich so viel Müßiggang leisten? Heute sind die Kommunikationskanäle auf den großen Plattformen, den Internetforen – die Visitenkarte einer Organisation ist ihr Auftritt im Web. Und wer sich da Schwächen leistet, offenbart sich zugleich in seinen kommunikativen Grenzen.
So weit, so gut. Das stimmt ja alles. Und auch unsere Gemeinde arbeitet entschlossen und sehr präsent an einem guten Internetauftritt. Dieser bekommt zu Recht viel Lob. Die Gemeinde braucht ihn auch, gerade durch die Verbindung in die ganze Welt, zu den Kindern in Deutschland, zu den Partnern auf Dienstreise und zu den in Athen verstreut lebenden Gemeindegliedern. Es ist großartig, dass so sorgsam all die Kanäle gepflegt, erneuert und erweitert werden. Ein „Lesezeichen“ am Schaukasten? Wohl eine sehr kleine Schar Lesender wären vorstellbar.
Und doch will ich einmal ein Wort für den „Schaukasten“ einlegen. Das Wort „Schau“ kündigt allerdings in der Regel mehr an, als es ist, wenn man es verwandt mit einer Show denkt. Nein, es ist ein Blick dahin, was die Gemeinde gerade macht. Wer ist Ansprechpartner? Wo gibt es Kontaktangebote?
In dieser Gemeinde gibt es sogar zwei Schaukästen, einer an der Kirche, der andere am Gemeindehaus. Dort sind die aktuellen Angebote der Woche aufgeführt. Ich habe sogar ein treffendes Beispiel dafür, dass es sinnvoll ist, sich auch dort, gewissermaßen „analog“, mit seinen Vorhaben zu zeigen.
Neulich hatten wir wieder die Andacht in der Form nach Taize. Diesmal war sie in die Kirche verlegt, und um den Altar herum standen Stühle bereit, Kerzen wurden nach und nach entzündet, und es kehrt im schon dunkel gewordenen Abend eine ganz eigene Stille ein. Der Kreis der Teilnehmenden war klein, doch diesmal kamen zwei junge Frauen hinzu, die niemand kannte.
Im Anschluss sprach ich sie an, denn sie waren an der Andacht sehr beteiligt und offenbar mit der Form vertraut. Das war schön.
Sie seien gerade für einige Wochen im Urlaub hier und würden die Tage in Athen zu Fuß erkunden, ohne genauen Plan. Doch zum Lykabettos hinauf, das stand am Vortage an. Dabei hätten sie den Schaukasten entdeckt und das Programm gelesen, und so seien sie heute hier, weil für sie ein Abendgebet ein stimmungsvoller Tagesabschluss sei.
Ehre also den Schaukästen! Ja, oft sehe ich von meiner Pfarrwohnung aus Menschen, die an einem Halt machen und: schauen. Auf den Schaukasten schauen.
Nun, gewiss bleiben die Schaukästen am Rande der informellen Ströme. Doch sie sind mit ihrer Beharrlichkeit ihres Daseins auch ein Zeichen für ein Innehalten, das ein momenthaftes Verharren für den Betrachtenden ermöglicht, als Zeichen einer ruhigeren Kultur der Information, in Präsenz eben.
So sollten wir sie also pflegen, die großen Kanäle der Internetseiten, die rustikalen, wetterausgesetzten Schaukästen und uns immer wieder daran erinnern, dass wir selbst mit unserer Zunge Teil der großen Geschichte Gottes mit uns Menschen sein dürfen, um die es im Kern geht.
Martin Bergau