Von einer Reise nach Andalusien zurückkehrend und noch tief beeindruckt von den fantastischen Städten dort, die Zeugnis ihrer maurischen Vergangenheit ablegen, erinnere ich mich daran, dass es eine Epoche in der spanischen Geschichte gab, in der Juden, Christen und Muslime friedlich nebeneinander und miteinander lebten.
Diese Epoche (711 – 1492) bezeichnete man als Convivencia (Zusammenleben). Es gab auch immer wieder Konflikte, aber dennoch waren da längere Zeitspannen, in denen sie friedlich miteinander lebten, sich gegenseitig beeinflussten und sich kulturell austauschten.
Warum ich das schreibe? Weil ich angesichts dessen, was wir täglich in den Nachrichten hören und sehen, mehr denn je den Wunsch habe, dass Religion und Frieden eng zusammengehen – alles andere scheint mir sinnlos.
Und mir kommt die Ringparabel aus dem Drama „Nathan, der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing in den Sinn.
Worum geht es da?
Der Herrscher Saladin hat dem weisen jüdischen Kaufmann Nathan die Frage nach der einen „wahren“ Religion unter Judentum, Christentum und Islam gestellt. Nathan wittert eine Falle Saladins und antwortet schließlich mit der Ringparabel:
Vor langer Zeit lebte ein Mann, der einen Ring mit der Fähigkeit besaß, sich vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Diesen kostbaren Ring vererbte er seinem geliebtesten Sohn und beschloss, dass von nun an alle Väter den Ring auf diese Weise vererben sollten. Doch viele Jahre später ist ein Vater nicht in der Lage, den Ring an einen seiner drei Söhne zu vererben, da er alle gleich liebt. Er lässt von dem Ring zwei Kopien anfertigen, so dass man den echten Ring nicht mehr identifizieren kann. Als die Söhne herausfinden, dass jeder einen Ring bekommen hat, wenden sie sich an einen Richter, der die Angelegenheit für sie lösen soll. Der Richter will jedoch kein Urteil fällen, er gibt den Brüdern nur einen Rat: (https://easy-schule.de/ringparabel/)
„Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; vor Gott und Menschen angenehm. Das muss entscheiden! Denn die falschen Ringe werden das doch nicht können – […] Mein Rat ist aber der: ihr nehmt die Sache völlig wie sie liegt. Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring den echten. – Möglich, dass der Vater nun die Tyrannei des Einen Rings nicht länger in seinem Hause dulden wollen! – Und gewiss; dass er euch alle drei geliebt, und gleich geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, um einen zu begünstigen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring `an Tag zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott, zu Hülf`!“ […] (studyflix Nathan-der-Weise-Ringparabel-Text.pdf)
Saladin ist tief beeindruckt von der Parabel und bietet Nathan die Freundschaft an.
So einfach wäre es: unbestochene von Vorurteilen freie Liebe, Sanftmut, herzliche Verträglichkeit, Wohltun und innigste Ergebenheit in Gott – dann kommt die Wunderkraft des Rings zum Vorschein: sich vor Gott und den Menschen angenehm zu machen!
Pfarrerin Iris Kaufmann