Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das heutige Lesezeichen von Pastor Peter Oßenkop befasst sich mit der aktuellen Situation der Kirche in Deutschland.
Heilige Kirche – sündige Kirche
Vieles bewegt mich zur Zeit, Privates sowie öffentliche Vorgänge. Privates: zwei plötzliche Todesfälle, von denen ich in den vergangenen Tagen erfuhr, und – geradezu als Gegengewicht – die Goldene Hochzeit von Freunden am heutigen Tag. Eine Goldene Hochzeit steht ja dafür, dass gemeinsames Leben gelingen kann, dass Liebe und Dankbarkeit, Zuneigung und Attraktivität sich im Lauf der Jahre und im Wechsel der Jahrzehnte erneuern und womöglich vertiefen können. Wie schön!
Ein öffentliches Thema bewegt mich auch: Eine Freundin, die sich in der katholischen Kirche engagiert, schrieb: „Bei dem, was in der Kirche gerade so alles ans Licht kommt, kann ich kaum noch in dieser Kirche mitarbeiten. Das geht für mich nur noch mit der Liebe zur Gemeinde, in der ich zu Hause bin“. Das Ansehen der Kirche in der Gesellschaft ist rapide gesunken. Eine wesentliche Ursache ist die Vielzahl von Fällen, in denen Priester und andere Amtsträger Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht haben. Seit vielen Jahren ist dieses Thema in der Öffentlichkeit. Nicht nur das Leid der Betroffenen ist zu beklagen, sondern auch die mangelnde Verantwortungsbereitschaft und Unfähigkeit zur Aufarbeitung bei der Kirche. Kein Wunder, dass Leute aus der Kirche austreten. Auch in der evangelischen Kirche gibt es Missbrauchsfälle, und auch sie tut sich sehr schwer mit der Aufarbeitung.
Vor knapp zwei Wochen ist ein neues Gutachten veröffentlicht worden, in dem eine unabhängige Anwaltskanzlei auf 1900 Seiten die Vorfälle im Erzbistum München seit Kriegsende untersucht hat. In diesem Gutachten werden auch Joseph Ratzinger, dem emeritierten Papst Benedikt XVI., Versäumnisse in seiner Zeit als Erzbischof in München (1977-1982) vorgehalten. Es stellte sich dabei heraus, dass Papst Benedikt jetzt objektiv falsche Angaben zu seiner Mitverantwortung gemacht hat. Nicht nur in der „Bild“-Zeitung, sondern auch in weiteren Medien ist von Lüge die Rede.
Wie soll man da noch der Kirche vertrauen? Man könnte jedenfalls an den Worten des Glaubensbekenntnisses zweifeln, die wir so oft im Gottesdienst sprechen: Die heilige christliche Kirche. Die Realität ist eher eine sündige Kirche. Roman Siebenrock, ein führender katholischer Theologe, beklagt, dass die Kirche „zu wenig die Perspektive der Geschädigten und Betroffenen eingenommen habe.“ Vor allem sei es der Kirche darum gegangen, dass sie ein skandalfreies, reines Bild an Heiligkeit in der Öffentlichkeit abgebe. Jetzt müsse eine Haltung der Buße einkehren. Und zum Zeichen dafür solle Benedikt „sein weißes Papstgewand ablegen, fortan ein einfacher Priester sein und nur noch Joseph heißen.“
Ich wage es dennoch, weiterhin die Worte des Glaubensbekenntnisses zu sprechen, weil ich die Hoffnung habe, dass Gottes Geist nicht aufhört, in der Kirche wirksam zu sein und Menschen in der Gemeinschaft der Kirche zu inspirieren. Heilig ist die Kirche, sofern sie sich wieder dem Gebot und der Gnade Gottes zuwendet und sich der Erneuerung durch Gott öffnet.