Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das heutige Lesezeichen bezieht sich auf die aktuelle Situation. Es ist ein leicht veränderter Auszug aus der Predigt von Pastor Oßenkop vom vergangenen Sonntag.
Fragen angesichts des Krieges in der Ukraine
Wir sind erschüttert. Ein schrecklicher Krieg tobt in unserer Nähe: ein Angriffskrieg, von Russland gestartet. Wir sind entsetzt und vor allem ratlos. Die politisch Verantwortlichen suchen nach Antworten, die ich hier nicht kommentieren möchte. Darüber hinaus fragen sich viele Menschen: Was kann ich tun? Ich möchte nicht nur ohnmächtig sein. Was tun?
Eine Antwort ist: Wir folgen nicht der Propaganda und ihrer Vernebelungstaktik, sondern wir benennen klar, wer die Opfer sind: Das sind jetzt vor allem die Menschen in der Ukraine; es sind wohl auch Menschen in Russland, die der russischen Propaganda ausgesetzt sind und auch den Tod von Soldaten zu beklagen haben. Vor allem aber die Ukrainer, deren Land von russischem Militär bombardiert wird.
Vor einigen Jahren habe ich ein knappes halbes Jahr in Kiew gelebt. Im Zentrum der Stadt sind an einer viele Meter langen Mauer Namen und Fotos von weit über 10.000 Ukrainern angebracht, die im Kampf um die Freiheit 2014 und danach bei den Auseinandersetzungen im Osten des Landes ihr Leben gelassen haben. Sie sollen nicht vergessen werden. Zum Zeichen der Trauer werden Blumen hingelegt.
Würde man nicht in aller Klarheit Angreifer und Opfer benennen, würde man den Opfern ihre letzte Würde nehmen. Auch sonst, wenn wir den Tod eines lieben Menschen, der auf natürliche Weise gestorben ist, beklagen, gilt es, nicht zu vergessen. Das ist eine wesentliche Aufgabe der „Trauerarbeit“, ein schmerzlicher Prozess. Angesichts des Todes fühlen wir uns ohnmächtig. Im Grunde bleibt uns nichts anderes, als um den lieben Menschen zu trauern. Er ist uns der Erinnerung wert, wir vergessen nicht, wir halten ihn in Ehren.
Was wir auch noch tun können im Angesicht des Krieges in der Ukraine: Wir bringen unsere Klagen und Ängste im Gebet vor Gott. Wir bitten um Stärkung, um nicht in der Ohnmacht unterzugehen. Wir erinnern uns an die Verheißungen Gottes, die Gegenkräfte gegen Gewalt, gegen Lügen und Einschüchterung. Wir beschwören geradezu das „Reich Gottes“, um dessen Kommen wir im Vaterunser beten.
Unsere Lebens- und Glaubenserfahrung ist widersprüchlich: Menschen sind Kriegen ausgesetzt. Sie kennen Angst und Schrecken. Und auch sonst sehen und erleben wir so viel Leid. Und dann soll man glauben? Wie ist es zusammenzubringen: die schlimme Realität und die schönen Worte von der Liebe Gottes?
Ich sehe keine andere Antwort als die: Es steht beides nebeneinander, oft unverbunden: auf der einen Seite die schlimme Realität und auf der anderen Seite die Zuversicht, dass Gott da ist, dass Jesus lebendig ist, auch in unserer Welt, in unseren Herzen und durch unsere Hände. Beweisen lässt sich das nicht. Glauben heißt: vertrauen, sich in die Hände Gottes fallen lassen, weiter hoffen, dass unsere Zukunft, meine, deine Zukunft, unser aller Zukunft, in Gottes Händen liegt.
Glauben schafft keine heile Welt. Glauben kann aber helfen, dass wir nicht zerbrechen an Not und Leid, an Angst und Sorgen, die wir in unserem Leben, in unserer Welt erfahren. Glauben heißt: den Widerspruch aushalten zwischen der schlimmen Realität, der wir ausgesetzt sind, und dem Frieden Gottes, auf den wir zugehen. Es ist das, was der Beter des 139. Psalms sagt: „Wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende aber bin ich noch immer bei dir“ (Ps. 139,17+18). Am Ende bin ich noch immer bei dir. Aber über das Ende verfügen wir nicht, das kommt noch. Wir hoffen auf ein gutes Ende. Anfang und Ende liegen in Gottes Händen.
Die biblische Lesung am vergangenen Sonntag war das „Hohelied der Liebe“ aus dem 1. Korintherbrief, Kap. 13. Es schließt mit den Worten: „Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung“; aller gegensätzlichen Erfahrung zum Trotz: sie bleiben gültig, sie bleiben wirksam, machen Mut und schaffen Frieden.