Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das heutige Lesezeichen von Pfarrer i.R. Martin Bergau erzählt von eigenen Erinnerungen, die der Krieg in der Ukraine auslöst. Sie auszutauschen, in der Familie oder mit anderen Menschen, die zuhören können, hilft in schwerer Zeit.
Geboren, um zu leben
Neulich hatten wir wieder Zeit füreinander, Kinder, die wir waren und ja noch immer sind: Kinder unserer Eltern. Nun aber schon in den späteren Jahren des Lebens. Meine ältere Schwester ist im Krieg geboren. Mein Bruder und ich Jahre später. Wir empfanden dies immer als großen Abstand, als gehöre sie einer anderen Generation an. Dabei waren es doch so wenige Jahre zwischen uns.
Und doch so viele Jahre. Auf dem Hintergrund des bestürzenden Krieges in der Ukraine mit den gänzlich unabsehbaren Folgen kamen uns die Erinnerungen: Sie, die als junges Mädchen all die Angst spüren musste, die ein Kind um sich und ihren Vater haben kann, der dann wie ein Fremder, glücklicherweise, aber sehr plötzlich da war. Wir, die Nachgeborenen, die so viele Gespräche und manches Schweigen unserer Eltern nicht verstanden.
Wir Geschwister an diesem Tag reden und reden.
Gerade erleben viele Menschen, so wie wir drei, dass Erinnerungen in ihnen wach werden. Und davon manche, die sie selbst längst vergessen glaubten. Und andere, die sie gar nicht mehr erinnern wollten, weil sie nur wehtun. Erinnerungen an Krieg und Not, an Hunger und Angst. Sie sind Narben im Inneren, und nicht alles kann heilen.
Nun sind Millionen auf der Flucht, und wir ahnen nur unzulänglich, was in ihren Herzen vorgehen mag. Wie gut, dass es auch viele, viele Menschen gibt, die darum wissen, und ihre Türen öffnen. Doch es wird ein sehr langer Weg zu einem Frieden sein, das spüren alle, und er ist nicht sichtbar.
Sind all die schweren Erfahrungen der Früheren in unserem Gedächtnis nur eine Last? Nein, für uns drei gehören sie ja zu unserem Leben dazu, wir sind damit groß geworden. Und wir haben im Blick auf unser Leben erfahren können, dass sie nicht alle Macht haben.
Das Erzählen aber, das ist so wertvoll und wichtig. Und das Zuhören auch, dabei doch das Leben spüren, Zugehörigkeit, Gemeinschaft.
So, wie dies in den Familien geschehen kann, so in der ganzen Gesellschaft, in unseren Gemeinden, regional und weltweit. Aus Erinnerungen kann auch Kraft wachsen, die den Frieden ersehnt und tut, was ihm dient, genau an dem Ort, wo wir leben