Hier kommt – etwas verspätet – das Lesezeichen mit einigen Gedanken zur Passionszeit.
Herzliche Grüße
Peter Oßenkop
Das Kreuz mit dem Kreuz
Wir haben in der Athener Kirche ein großes Kreuz. Manche halten es für zu groß und sind nicht glücklich darüber. Anderswo sieht man das Bild des Gekreuzigten: Viele möchten sich davon abwenden, weil es ein Zeichen für Gewalt und Folter ist und keine „frühlingshafte“ positive Stimmung von ihm ausgeht. Ich höre immer wieder, dass auch Christen ihr „Kreuz mit dem Kreuz“ haben. Was denken andere Religionen darüber?
Im Koran etwa gibt es viele Passagen über Jesus, den Propheten Gottes. Aber was den Tod Jesu angeht, da wird den für den Tod Jesu Verantwortlichen – im Koran sind das ausschließlich die Juden – in keiner Weise der Triumph zugestanden, dass sie es geschafft hätten, diesen Propheten Gottes zu töten. Es heißt dort: „In Wirklichkeit haben sie ihn nicht getötet und nicht gekreuzigt, vielmehr erschien es ihnen nur so … Gott hat ihn zu sich in den Himmel erhoben, Gott ist mächtig und weise.“(Sure 4,157 f) Und die Kommentatoren haben diesen Satz des Koran dann so ausgelegt, dass sie gesagt haben: In Wirklichkeit ist ein anderer an Stelle von Jesus gekreuzigt worden, vielleicht Simon von Kyrene, der das Kreuz getragen hat. Jesus wurde danach nicht gekreuzigt. Es scheint skandalös, dass der Prophet Gottes eine tödliche Niederlage erleidet.
Schaut man auf den Buddhismus, begegnet man in Buddha einem Menschen, der von Mitgefühl beseelt ist, dessen Ziel es aber ist, in sich zur Harmonie, zum Frieden, zur Gelassenheit zu finden und durch Konzentration, Meditation und Askese zur Erleuchtung zu kommen und abgeklärt zu werden. Mit 80 Jahren stirbt Buddha, wie es heißt, an einer Lebensmittelvergiftung. Die Erleuchtung hat das Ziel, dass alles Leiden, alle Unruhe des Lebens abfällt wie eine Hülle, dass das Leiden einen im Innersten nicht betrifft.
Demgegenüber Jesus: das ist ein Mann, der nicht nur Mitleid verströmt, sondern der selbst Mitleid – unser Mitleid – herausfordert. Er stirbt nicht in weiser Gelassenheit, sondern mit einem Schrei. Er stirbt als ein Verlassener: verlassen von seinen Jüngern, von seiner Familie; er stirbt mit dem Satz „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Ein Stoßgebet ist das: „Gott, wo bist du?“, ein Verzweiflungsschrei. Jesus: anders als Buddha, ein Mensch, der sich hingibt an andere Menschen, der sich der Liebe hingibt und der sich deshalb dem Leiden hingibt.
Oder ich denke an den Hinduismus. Bei einem Besuch in Indien hat mir einmal ein Priester an einem Tempel die Skulpturen erklärt, und da sieht man an vielen Stellen Kreuze: Kreuze in einer Form, die wir – geprägt durch unsere Geschichte – als Hakenkreuze erkennen. Das Sonnenkreuz ist im Hinduismus ein Symbol für Wohlstand, für das Wohlergehen, für das Glück, das die Götter den Menschen verleihen. Ein Symbol für die Sonnenseite des Lebens. Und dieser Priester fragte mich dann: Was habt ihr Christen denn für Symbole? Habt ihr auch ein Symbol für Glück?
Wir haben das Kreuz. In der christlichen Kunst hat es selbst auch sehr lange gedauert, bis man den leidenden Christus dargestellt hat. In den ersten Jahrhunderten wurde oft nur das Kreuzeszeichen als solches gezeichnet, ohne den Körper. Und dann hat man Christus dargestellt in einer königlichen, in einer gefassten Haltung, der Haltung des Siegers mit einer Krone oder in der Haltung des Betenden. Erst im Spätmittelalter kommt es dann zu der Darstellung des Schmerzensmannes, des Leidenden. Das herausragendste Beispiel dafür ist das Kreuzigungsbild des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald: ein fürchterlich zugerichteter Mensch mit ganz vielen Narben auf seinem Körper. Dieses Bild wurde in Isenheim im Elsass den Menschen, die in einem Hospital für Aussätzige, für Leprakranke waren, vor Augen gehalten, damit sie sehen: dieser Jesus, das ist einer von euch. Der identifiziert sich mit euch, und mit dem könnt ihr euch in eurer Not und Krankheit identifizieren. Er ist euch in seinem Leiden gleich. Jesus als Identifikationsfigur für andere leidende Menschen. Einer, in dem sich alles Leiden dieser Welt bündelt: das Unrecht, das Menschen angetan wird, die Schmerzen, die Folter, der Spott, die Einsamkeit und die Verzweiflung am Sinn des Ganzen.
Peter Oßenkop