Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das heutige Lesezeichen von Pastor Oßenkop geht auf das Thema ein, das seit Wochen und Monaten alle beschäftigt: den Krieg in der Ukraine.
Zerrissenheit
In den letzten Wochen und Monaten wurden mir von Freunden und Bekannten viele Artikel und Stellungnahmen zum Krieg in der Ukraine zugeschickt. Gegensätzliche Positionen begegneten mir da, die mich auf die eine oder andere Seite ziehen wollten. Es waren Wechselbäder, und ich habe die Gegensätzlichkeit der Sichtweisen manchmal kaum ausgehalten. Sie haben die Zerrissenheit in mir selber verstärkt.
Ich kenne natürlich den Auftrag, den uns Jesus in der Bergpredigt zutraut (Matthäus 5,44): „Liebt eure Feinde!“ Ich kann mir den Satz zu Herzen nehmen, aber ich muss jetzt nicht persönlich mit meinem Leben dafür einstehen; ich lebe nicht in der Ukraine. Und wenn ich in der Ukraine lebte, wie stünde es um meine Verantwortung für mich, meine Nächsten, mein Volk?
Ich habe mich befragt, welche Fragen mich persönlich im Tiefsten umtreiben: Es ist nicht Angst, die ich vor einer Eskalation des Krieges hätte, sondern eine Zerrissenheit: Auf der einen Seite das Entsetzen über die Toten in diesem Krieg und die Zerstörung des Landes, in dem ich 2017 ein halbes Jahr gelebt habe. Und ich frage mich: Ist es wert, dass Menschen getötet, Städte zerstört und Unsummen an Geld für Zerstörung verpulvert werden?
Auf der anderen Seite: Empörung über den Angreifer, Empörung auch darüber, dass bei einem – von pazifistisch orientierter Seite geforderten – Waffenstillstand einfach das Recht des Stärkeren, des Angreifers gelten soll. Es ist für mich eine Forderung der Gerechtigkeit, dass die Ukraine in diesem Krieg nicht verliert. Auch nach biblischem Verständnis gehören Frieden und Gerechtigkeit zusammen.
Ich bin, Gott sei Dank, nicht Bundeskanzler, aber, wenn ich entscheiden müsste, würde ich wohl ähnlich wie Olaf Scholz zögernd und vorsichtig Waffenlieferungen zustimmen, um zu erreichen, dass der Angreifer nicht gewinnt, sondern sich zum Rückzug genötigt sieht, simpel gesagt: dass der Böse nicht auch noch belohnt wird.
Wie auch immer entschieden wird – ich wünsche mir, dass bei jeder Stellungnahme und Maßnahme das Eingeständnis herauszuhören ist: „Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten (so die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Annette Kurschus). Wir brauchen Vergebung