Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das heutige Lesezeichen wurde diesmal von Matthias Heinecke verfasst. Er ist Theologiestudent im 10.Semester in Leipzig und absolviert jetzt für sechs Wochen ein Praktikum in unserer Gemeinde. Das Lesezeichen greift ein Thema auf, zu dem neulich in unserer Kirche eine Predigt gehalten wurde.
Brauchen Menschen Gott?
Mein Neffe ist nun 2 Jahre alt und wird ohne einen Bezug zu Kirche und Gott aufwachsen, weil beides für seine Eltern keine Bedeutung hat. Bei dieser Beobachtung stelle ich mir die grundsätzliche Frage: Braucht der Mensch Gott? Meine Antwort besteht aus zwei Gedanken.
In Anbetracht des großen Leids in vielen Ländern der Welt, von dem wir täglich durch die Nachrichten erfahren, braucht der Mensch eine hoffnungsvolle Perspektive. Er braucht ein Ziel, für das es sich trotz allen Leids zu leben lohnt. Eine Religion, die ein heilsames Weltbild beschreibt, hilft, dieses Leid und die existenziellen Fragen nach dem Sinn des Lebens auszuhalten. Eine Religion, die eine kosmische Deutung des Lebens anbietet, hat die Funktion, dem Menschen in einer leidvollen Welt Halt, Orientierung und eine Perspektive zu geben.
Als alleiniger Grund reicht mir das noch nicht. Das würde zunächst nämlich auch bedeuten, dass Menschen, die wenig Leid oder existenzielle Bedrohung aushalten müssen, kein Bedürfnis nach Religion und Gott haben. Das scheint mir aber nicht so zu sein. Oft erlebe ich, wie Menschen, die – wie ich selbst – keine existenzielle Bedrohung und wenig finanzielle oder gesundheitliche Unsicherheiten aushalten müssen, ebenso das Bedürfnis nach einer Lebensdeutung mit kosmischem Ausmaß haben. Das zeigt sich da, wo ich mit diesen Menschen über Hoffnungs- oder Sinnlosigkeit spreche, die die Gegensätze und Spannungen des Lebens bewusst machen. Ständig befindet man sich in überfordernden Situationen, in denen man sich die Fragen nach dem Sinn neu stellen muss. Sei es als Student, der seine Zukunft plant und sich nach dem richtigen Beruf umsieht, oder als junge Eltern, die überlegen, wie sie ihrem Kind die Welt mit ihren Paradoxien erklären.
Aber auch da, wo ich Wunder beobachte, stellt sich mir die Sinnfrage.
Ich stand vor einigen Tagen am Wasser in Porto Germeno und fragte mich, welche Kraft das Meer Wellen schlagen lässt und wozu sich überhaupt alles bewegt. Wie und wofür geschieht das? Und dann hob ich meinen Blick etwas und es wurden mehr Fragen: Wie konnten diese wunderschönen griechischen Berge, die die Bucht umgeben und sich ins diesige Unendliche erstrecken, überhaupt entstehen?
Bei diesem Anblick entsteht bei mir ein Gefühl des Dankes. Ich brauche jemanden, der mir einen Sinn hinter allen Dingen verspricht und dem ich diesen Dank geben kann.
Die Vorstellung, dass mir ein Sinn entgegentritt, macht, dass ich Wunder annehmen kann. Ich kann die Zusammenhänge und Gegensätze, die diese Welt prägen, zwar nicht sehen oder ganz aufdröseln, aber ich kann sie annehmen, erleben und empfinden. Durch die Schönheit der Natur gibt Gott mir Hoffnung, dass alles Leid in dieser Welt nicht das letzte Wort haben wird.