Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das Lesezeichen von Pastor Oßenkop greift heute einen Gedanken auf, der in den Nachrufen auf die verstorbene britische Königin oft erwähnt wurde.
Never complain, never explain
„Niemals sich beschweren, niemals erklären“ – so lautete das Lebensmotto der Queen, das jetzt oft in den Nachrufen auf die verstorbene britische Königin erwähnt wurde. Die Unaufgeregtheit, die in diesem Motto zur Sprache kommt, tut gut in Zeiten, wo sich viele über alles Mögliche sehr erregen, besonders in der Anonymität des Internet. Das Wort steht auch für eine vornehme Zurückhaltung in einer Öffentlichkeit, wo viele meinen, ihre Meinung sei so wichtig, dass man alle anderen unbedingt daran teilhaben lassen müsse. Ich muss zugestehen, dass mir die Haltung, mit der Königin Elizabeth ihr Amt ausgeübt hat, imponiert hat. Aber soll es auch mein Lebensmotto sein?
Für eine Königin mag das angemessen sein, aber gehört zu einem verbindlichen Umgang unter uns Menschen nicht auch, dass wir uns aussprechen: dass wir klagen, dass wir unseren Gefühlen Ausdruck geben, dass wir etwas wagen und dabei Fehler machen, dass wir um Vergebung bitten? Wer in den Psalmen der Bibel liest, wird erstaunt sein, wie freimütig, wie emotional Menschen Freude und Leid, Angst und Erschrecken, vor allem über sich selber, äußern! Auch das tut gut.
Mich hat seit Jahrzehnten eine andere Lebensmaxime begleitet: Sie stammt von Papst Johannes XXIII, der vor 60 Jahren mit dem 2. Vatikanischen Konzil eine Öffnung der katholischen Kirche zur modernen Welt hin bewirkte und durch seine Menschlichkeit viele beeindruckte. Er hat sich gesagt: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“ Ich habe mir oft genug diesen Satz als Selbstermahnung gesagt.
Jetzt wurde der Satz wieder zitiert, als Lebensmotto des deutschen Politikers Wolfgang Schäuble aus Anlass seines 80. Geburtstags. Schäuble, ein Mann, der in Deutschland (in Griechenland wohl weniger?) wegen seiner immensen Erfahrung und herausragenden Klugheit großen Respekt genießt, der aber auch zu Besserwisserei und Ungeduld neigt, hatte es wahrscheinlich nötig, sich diesen Satz zu sagen: Nimm dich nicht so wichtig. Eitelkeit und Hochmut werden dadurch gezügelt.
Manchmal aber ist auch das Gegenteil richtig und notwendig: dass man mit seinen beschränkten Möglichkeiten und im begrenzten Rahmen seiner Lebenszeit etwas Wichtiges schafft. Der oder die Einzelne kann sehr wichtig sein. Ein Wort der jüdischen Tradition sagt: „Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte“.