Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
im heutigen Lesezeichen – dem letzten in diesem Jahr – geschrieben von Pfarrerin Iris Kaufmann, geht es um das Glück, die Gelassenheit und die Zuversicht.
Jetzt ist es diese Zeit zwischen den Jahren, in der wir uns befinden. Ich werde ein bisschen sentimental, schaue auf das zurück, was war, sehe dem entgegen, was kommt. „Raunächte“ wird diese Zeit wohl auch genannt, was vom Räuchern mit Kräutern kommt, um Geister und Dämonen zu vertreiben. Für das neue Jahr wünschen wir uns Glück.
Die folgende Geschichte sinniert über Glück und Unglück:
Der chinesische Bauer. Eine Parabel
In einem Dorf in China, nicht ganz klein, aber auch nicht groß, lebte ein Bauer – nicht arm, aber auch nicht reich, nicht sehr alt, aber auch nicht mehr jung, der hatte ein Pferd. Und weil er der einzige Bauer im Dorf war, der ein Pferd hatte, sagten die Leute im Dorf: „Oh, so ein schönes Pferd, hat der ein Glück!“. Und der Bauer antwortete: „Wer weiß?!“
Eines Tages, eines ganz normalen Tages, keiner weiß weshalb, brach das Pferd des Bauern aus seiner Koppel aus und lief weg. Der Bauer sah es noch davongaloppieren, aber er konnte es nicht mehr einfangen. Am Abend standen die Leute des Dorfes am Zaun der leeren Koppel, manche grinsten ein bisschen schadenfreudig, und sagten: „Oh der arme Bauer, jetzt ist sein einziges Pferd weggelaufen. Jetzt hat er kein Pferd mehr, der Arme!“
Der Bauer hörte das wohl und murmelte nur: „Wer weiß?!“
Ein paar Tage später, sah man morgens auf der Koppel des Bauern das schöne Pferd, wie es mit einer wilden Stute im Spiel hin und herjagte: sie war ihm aus den Bergen gefolgt. Groß war der Neid der Nachbarn, die sagten: „Oh, was hat der doch für ein Glück, der Bauer!“ Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß?!“
Eines schönen Tages im Sommer dann stieg der einzige Sohn des Bauern auf das wilde Pferd, um es zu reiten. Schnell war er nicht mehr alleine, das halbe Dorf schaute zu, wie er stolz auf dem schönen Pferd ritt. „Aah, wie hat der es gut!“ Aber plötzlich schreckte das Pferd, bäumte sich auf und der Sohn, der einzige Sohn des Bauern fiel hinunter und brach sich das Bein und die Hüfte. Und die Nachbarn schrien auf und sagten: „Oh, der arme Bauer: Sein einziger Sohn! Ob er jemals wieder wird richtig gehen können? So ein Pech!“ Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß?!“
Einige Zeit später schreckte das ganze Dorf aus dem Schlaf, als gegen Morgen ein wildes Getrappel durch die Straßen lief. Die Soldaten des Herrschers kamen in das Dorf geritten und holten alle Jungen und Männer aus dem Bett, um sie mitzunehmen in den Krieg. Der Sohn des Bauern konnte nicht mitgehen. Und so mancher saß daheim und sagte: „Was hat der für ein Glück!“
Aber der Bauer murmelte nur: „Wer weiß?!“
Und die Moral von der Geschichte … „Wer weiß?!“
(Quelle: Der Ursprung der Parabel stammt aus dem Huainanzi, einem chinesischen Philosophie-Klassiker des Daoismus aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.)
Ja, wer weiß das schon? Der Bauer zeigt eine große Gelassenheit.
Gelassenheit drückt eine gewisse Zuversicht aus: So möchte ich mit der letzten Strophe des berühmten Gedichtes von Dietrich Bonhoeffer das Jahr abschließen:
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag!
Und der Lehrtext zur heutigen Tageslosung kann es treffender nicht ausdrücken:
Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voller Freimut. (2. Korinther 3,12)