Das Labyrinth als Schule des Lebens
In Athen gibt es so viel zu entdecken. Kürzlich besuchten wir den Stavros Niarchos Park. Sehr schön angelegt mit vielen Betätigungsmöglichkeiten für Erwachsene und Kinder – und herrlichen Ausblicken. Dort fanden wir auch ein großes Labyrinth, das zum Begehen einlud.
Labyrinthe haben aktuell Konjunktur. Sie finden sich in Kathedralen, Tempelanlagen, Parks und Gemeindegärten. Manche verwechseln sie mit Irrgärten, die in Schlossanlagen oder auf dem Jahrmarkt aufgebaut wurden. Diese sind bewusst so angelegt, dass man sich in ihnen verläuft. So ist es beim Labyrinth nicht. Es sind Schulen des Lebens mit dem Ziel, in die Mitte der Anlage zu kommen. Der Eingang ist leicht zu finden. Im Labyrinth des Niarchos-Parks läuft man direkt darauf zu. Sehr einladend. Schnell kommt man der Mitte nahe. Nur wenige Kurven müssen umrundet werden, dann hat man das Ziel schon an seiner Seite. Aber eine letzte Abgrenzung ist noch da. So geht man weiter, um enttäuscht festzustellen, dass die folgenden Kurven von der Mitte wegführen. Man möchte gar nicht weitergehen. Das ist aber wichtig in dieser Situation. Anders als in den Irrgärten wird uns der Weg nach den vielen Kurven in die Mitte führen. Also nicht aufgeben und zurückgehen. Gott hat unseren Weg bereitet.
Diese Erfahrung kennen wir. Manchmal fühlen wir uns der Erfüllung des Lebens nahe. Wie die Jünger, die mit Jesus auf den Berg gestiegen waren und dort eine wunderbare Erscheinung hatten. Im letzten Lesezeichen erzählte ich davon. Aber dann müssen wir in den Alltag zurück und haben das Gefühl, dass wir uns von der Mitte unseres Lebens entfernen. Die Durststrecken des Lebens sind nicht leicht auszuhalten. Weitergehen, weitergehen, weitergehen. Wir werden das Ziel erreichen, weil uns Gott den Weg bereitet hat. Und er sendet uns immer wieder Erinnerungen an ihn. So hat es Ernesto Cardenal gedichtet: „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“ Bei Paulus lesen wir von dem gleichen Vertrauen: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben … weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … uns scheiden kann von der Liebe Gottes.“
Wenn wir dann das Labyrinth im Stavros Niarchos Park verlassen, können wir einen kleinen Gang auf das benachbarte Dach der Staatsbibliothek und Oper anschließen. Dort erwartet uns ein grandioser Ausblick auf das Meer, die Akropolis und unseren Lykabettus. Wir spüren, was Menschen in der Begegnung mit Gott oft erlebt haben – nämlich, dass unsere verschlungenen Lebenswege am Ende in die Freiheit führen. Ja, so ist es: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Pastor Kurt Riecke