70
Da gab es kein Vertun. Das Lebensalter schreitet eben fort. Von Jahr zu Jahr. Und nun also: 70. Mittlerweile habe ich das Land der ersten Monate im neuen Jahrzehnt ein wenig näher erkundet. So leicht aber fällt es mir nicht, auszusprechen, wieviel Jahre ich nun schon gelebt habe. Gelegentliche Schmeicheleien, man sehe doch noch nicht danach aus, sind ziemlich ambivalente Botschaften. Arzttermine werden trotz sportlicher Bemühung nicht wirklich weniger, kennt jeder in dem Alter.
Ich habe Einiges geschenkt bekommen, das war natürlich schön. Ein Buch war dabei, das hat mir besonders gefallen. Ich blättere darin immer mal – und schmunzle, denke nach, manchmal bin ich auch betroffen, ganz unterschiedlich. Es heißt: „Hundert. Was du im Leben lernen wirst“. Menschen allen Lebensalters sind auf dem Buchdeckel abgebildet, ganz munter, in Bewegung, beim Spielen und Tanzen oder einfach beim Gehen oder Fahrrad schieben.
Das Spannende: Zu jedem Lebensjahr gibt es ein Bild, eine Szene, eine Stimmung oder etwa eine Landschaft. Und ein Satz. Der hat natürlich etwas mit der bestimmten Jahreszahl zu tun. Der Satz ist in einem vom ersten Lebensjahr angesprochenen „Du“ gehalten. Und so fügt sich zu jedem Jahr ein eigener kleiner Gedanke hinzu. Ich habe beim Blättern festgestellt: die meisten treffen irgendwie auch auf mich zu. Wie kommt das bloß? So verschieden sind wir Menschen wohl doch nicht.
Bei „70“ heißt es: „Wie wenig du dich selbst kennst. Ob dir etwas gefällt, weißt du manchmal erst, wenn du es tust.“
Donnerwetter. Das stimmt. Nun bin ich schon so manches Jahrzehnt in der Welt unterwegs, aber genauso ist es: Ich weiß es erst, wenn ich etwas tue, was es ist, was es für mich ist. Und auch wenn der Körper nicht mehr alles so bedingungslos mitmacht und manchmal mault, so ist die Seele jung, neugierig – oder etwas klassischer gesagt: sie reift.
Wach bleiben für Neues. Sich anregen lassen. Auch das Bekannte neu betrachten. Leben in der Fülle erkennen.
In diesem Sinne: Auf – Hören.
Pfarrer i.R. Martin Bergau