Was löst das Wort „Beten“ bei Ihnen aus? Am vergangenen Sonntag stand es im Mittelpunkt des Gottesdienstes, der den Namen „Rogate – Betet“ trägt. Sind es schöne Erinnerungen an Gebete aus Kinderzeiten, die Ihre Eltern am Bett sprachen? Oder verbindet es sich mit vielen Fragezeichen? Oder mit einer Sehnsucht? Oder spüren Sie Ärger über Gebete, die anscheinend nicht erhört wurden?
Der Mystiker Ladislaus Boros hilft uns in unseren Überlegungen, indem er seine persönliche Erfahrung so formuliert: „Das Gebet sprengt die Enge der Welt.“ So hat Gott es sich vorgestellt. Wir überschreiten unsere kleine Welt und treten mit dem in Kontakt, der diese Welt geschaffen hat, der uns geschaffen hat. Und wie es im Miteinander von vertrauten Menschen selbstverständlich ist, so will auch Gott mit uns in Kontakt bleiben.
Dabei hat er viele Wege des Gebetes geöffnet. Manche denken, dass das Gebet vor allem dazu dient, Gott unsere Bitten mitzuteilen. Aber es gibt so viele Facetten des Gespräches mit ihm. Manchmal müssen es auch keine Worte sein, sondern nur ein Seufzen, ein Lachen, ein Stoßgebet in unseren Gedanken. In einem Gespräch in der letzten Woche erzählte eine Teilnehmerin davon, dass es für sie Orte gibt, an denen sie die Nähe Gottes spürt. Nichts muss gesagt werden. Diese Nähe wird für sie zu einem Gebet.
Das Gebet kann zu einer Schule des Dankens werden, weil wir uns das vor Augen stellen, was wir an Gutem in unserem Leben erfahren. Oder wir erinnern uns daran, dass wir in schwierigen Situationen nicht allein sind. Die Jahreslosung spricht davon: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Gebet kann dann eine stille Zeit sein, in der wir uns diesem Blick aussetzen und die Wärme des liebevollen Gesehenwerdens genießen. In schwierigen Zeiten ermutigt es zum Klagen. Jesus selbst hat sich am Kreuz mit einem klagenden Ruf an Gott gewandt.
All diese Wege verbindet die Erfahrung: „Das Gebet sprengt die Enge der Welt.“ Eine kleine Geschichte erzählt davon:
Dem Pfarrer einer Stadt im Süddeutschen fiel ein alter, bescheiden wirkender Mann auf, der jeden Mittag die Kirche betrat und sie kurz darauf wieder verließ. Eines Tages fragte er den Alten, was er denn in der Kirche tue. Der antwortete: „Ich gehe hinein, um zu beten.“ Als der Pfarrer verwundert meinte, er verweile nie lange genug in der Kirche, um wirklich beten zu können, sagte der Besucher: „Ich kann kein langes Gebet sprechen. Aber ich komme jeden Tag um zwölf und sage: „Jesus, hier ist Johannes.“
Eines Tages musste Johannes ins Krankenhaus. Ärzte und Schwestern stellten bald fest, dass er auf die anderen Patienten einen heilsamen Einfluss hatte. Die Nörgler nörgelten weniger und die Traurigen konnten auch mal lachen. „Johannes“, sagten sie, „du bist immer so gelassen und heiter“. „Ach“, winkte Johannes ab, „dafür kann ich nichts. Das kommt durch meinen Besucher.“ Doch niemand hatte je bei ihm Besuch gesehen. Er hatte keine Verwandten und auch keine engeren Freunde. „Dein Besucher“, fragte eine Schwester, „wann kommt er denn?“ „Jeden Mittag um 12. Er tritt ein, steht am Fußende meines Bettes und sagt: „Johannes, hier ist Jesus.“
Pastor Kurt Riecke