Klage
In der Ukraine, in Berg-Karabach (zwischen Armenien und Aserbaidschan), jetzt wieder in Israel und Palästina: Gewalt, Terror, Krieg. Und auch in vielen anderen Ländern auf unserer Erde, die nicht so sehr im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stehen.
Mir bleiben nur Entsetzen, Ratlosigkeit und Klage.
Die einzelnen Situationen sind kompliziert, haben lange Vorgeschichten und vielfältige Zusammenhänge, die erklärt werden müssen. Aber Erklärungen lösen das Entsetzen nicht auf und machen die Ratlosigkeit meist nicht geringer.
Ich erschrecke darüber, wie Menschen zum Bösen fähig und bereit sind. Ich bin ratlos angesichts der Sinnlosigkeit. Ich klage es Gott.
Im Bibelgespräch heute richtete eine Teilnehmerin unsere Aufmerksamkeit auf das Bibelwort: „Die Himmel werden Gottes Gerechtigkeit verkünden; denn Gott selbst ist Richter“ (Psalm 50,6). Dass Gott Richter ist, kann man so verstehen: Er wird das, was durch Menschenhand aus dem Ruder gelaufen ist, irgendwann – wer weiß, wann das sein wird – wieder „richten“, in die „richtige“ „Richtung“ bringen und neu zum Guten hin „ausrichten“. In der Klage ist die Sehnsucht gegenwärtig: Dein Reich komme, und der Hilferuf: „Erlöse uns von dem Bösen“.
Ich möchte die Kraft haben, die Ratlosigkeit auszuhalten und durchzustehen. Ich bin skeptisch, wenn ich Erklärungen und Kommentare höre, die vieles besser zu wissen meinen, indem sie meist aus einer distanzierten Position heraus behaupten: „Man hätte doch …“ Die Fragen bleiben. Und es kommt neue Fassungslosigkeit hinzu, wenn ich auch noch die Nachrichten vom Erdbeben in Afghanistan mit mehreren Tausend Toten an mich herankommen lasse, und ich denke: Auch das jetzt noch in diesem ohnehin so geschundenen Land.
Schließlich fällt mir angesichts der Ratlosigkeit ein, was Rainer Maria Rilke vor 120 Jahren einem jungen Dichter geschrieben hat. Da geht es zwar nicht um weltpolitische Zusammenhänge, aber doch darum, sich den Fragen im Leben zu stellen:
„Ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.“
Pastor Peter Oßenkop