Wegezeit
Es ist ein milder Septembermorgen. Den Weg zu Fuß zum Haus Koroneos, dem Altenheim der Gemeinde, mag ich gern. Am Rande des Lykabettos entlang erhasche ich ab und an einen Blick auf die Akropolis, die im fernen Morgenlicht ruht.
Das Haus Koroneos liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fußballstadion von Panathinaikos. Heute aber quirlt die nahe Umgebung von anderem Leben. Schulbeginn. Kinder klettern auf dem kleinen Denkmal am Platz herum, rennen, tummeln sich in Gruppen. Ab und zu eine Durchsage aus dem Lautsprecher vom gegenüberliegenden Schulhof. Eltern haben Zeit, sich auszutauschen, trinken Kaffee, haben sich nach der Ferienzeit auch lange nicht gesehen.
Pure Gegenwart!
Ich bleibe für einen Moment fasziniert stehen und bahne schließlich meinen Weg durch das Stimmengewirr und Getümmel. Alles das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Haus Koroneos.
Im Altenheim spielt sich das Geschehen natürlich anders ab. Wer kann und es möchte, kommt zur Andacht. Die Teilnehmenden versammeln sich um Raum, umsorgt von den Pflegekräften. Alles wird schön hergerichtet. Die Kerzen werden traditionell von einer Bewohnerin mitgebracht und entzündet. Das ist feierlich.
So sind Trubel, Geschäftigkeit, das pralle Leben draußen und die Sammlung, die Gemeinschaft im Licht der Kerzen gewissermaßen „Tür an Tür“.
Noch eine ganze Weile blieb ich hernach in der Runde, im Raum, der vom erzählten Leben, von Erinnerungen, plötzlich aufblühender Dialekte aus Bayern, dem Schwäbischen oder dem klaren Norddeutschen zu einer bunten Vielstimmigkeit erfüllt wurde. Geschichten reihen sich an Geschichten.
Pure Gegenwart!
Schließlich wurde es Mittag, der Alltag nahm seinen Fortgang, die Kerzen wurden gelöscht, ein heiteres „bis zum nächsten Mal“ und Abschied.
Draußen war es nun stiller, an der Schwelle der Tür, die Schulfeiern abgeschlossen, keine Lautsprecherdurchsagen mit Hinweisen mehr in der Luft.
So korrespondieren Gegenwärtiges, Zurückliegendes, das auf Zukunft hin drängende Vorwärtswollen und der erinnernde Blick zurück. Es geschieht an unterschiedlichen Stellen, zugleich „Tür an Tür“.
Pure Gegenwart!
Erinnerung ist nicht abgelebt, sondern Schatztruhe für ein klares Gegenwärtigsein. Für einen Moment denke ich: Welch kostbare Fülle des Lebens. Beides. Danke, Gott.
Und wünsche den quirligen Kindern, ihren Eltern, den Senioren im Haus, allen und auch mir genau dies für jeden Tag, an der Schwelle der Tür verharrend.
Und dann los, um den Lykabettos herum.
Pfarrer Martin Bergau