Himmelfahrt
Am Donnerstag dieser Woche ist „Christi Himmelfahrt“, in Deutschland ein staatlich geschützter arbeitsfreier Tag, dessen religiöser Sinn den Menschen doch sehr fern gerückt ist. Himmelfahrt ist ja auch ein schwieriges Thema: Denn wir teilen nicht mehr das dreiteilige Weltbild von Himmel, Erde und Unterwelt. Eine Auffahrt in den Himmel im wörtlichen Sinn passt nicht in das Weltbild der Neuzeit. Wir können uns auch nicht wirklich vorstellen, was es heißt, dass Jesus „zur Rechten Gottes des Vaters sitzt“, was das für ein Ort ist: Ist es im fernsten Ort des Universums? Dann aber wäre Gott sehr fern von uns Menschen. Und auf der anderen Seite glauben wir doch, dass Gott uns in Jesus ganz nah ist.
Was bedeutet Himmelfahrt? Es geht bei diesem Thema darum, wo Gott zu suchen und zu finden ist.
Christus ist in den Himmel aufgefahren, das heißt doch: Er ist nicht in einem Grab zu suchen und zu finden. Gott sei Dank: Manchmal sagen wir nach einem Streit: Lass uns die Angelegenheit begraben! Wir erklären sie für erledigt; sie soll uns nicht mehr bekümmern. Jesus ist nicht in diesem Sinn begraben. Sein Werk, seine Mission, seine Worte sind nicht erledigt. Sie sollen uns auch heute bekümmern, hellhörig machen, neu herausfordern.
Jesus ist nicht begraben, nicht an einem Punkt, sondern an unendlichen vielen zu suchen und zu finden – so wie der Himmel über uns unendlich ist. Gott ist nicht nur an einem bestimmten Ort, z. B. einem Wallfahrtsort, einem Pilgerziel, einem sog. Heiligen Land zu finden, auch wenn es gut ist, dass es Orte gibt, an denen Menschen seit Jahrhunderten gebetet haben, Orte, an denen Menschen ihre Erfahrungen mit Gott geteilt haben.
Gott ist nicht nur in einem bestimmten Bild zu suchen und zu finden, auch wenn es gut ist und nötig, dass Menschen Bilder von Gott in ihrem Herzen tragen: Bilder von Gott, dem barmherzigen Vater, der tröstenden Mutter, dem gnädigen Richter, dem Heiler unserer Verwundungen.
Gott ist nicht in einem bestimmten Land, einer bestimmten Religion, einer bestimmten Kirche zu suchen und zu finden, auch wenn Menschen ihre jeweilige Gruppe brauchen, ihr Fleckchen Erde, ihre Heimat, um sich in der weiten unübersichtlichen Welt nicht verloren vorzukommen.
Jesus ist nicht an einer Stelle begraben, nicht an einem Punkt zu suchen und zu finden, sondern ist da gegenwärtig und wirksam, wo Menschen sich ihre Herzen öffnen lassen für etwas zutiefst Innerliches, Berührendes, Schönes. Einfach gesagt: Der Himmel auf Erden ist überall da, wo Menschen Freude und Leid teilen und einander annehmen.
Ich wünsche mir, dass wir die Weite des Himmels in unsere Herzen hineinnehmen und in uns tragen. Wir verzetteln uns ja oft in Kleinteiligem, im Kleinlichen, haben nicht den Blick für das Weite. Unser Herz soll sich öffnen, unser Denken soll sich weiten zur Perspektive Gottes. Ich erinnere mich häufig an einen Satz von Mitri Raheb, lutherischer Pfarrer von Bethlehem, der im Angesicht der Mauer lebt, die die palästinensischen Gebiete in der Westbank von Israel trennt: Er sagt: „Der Himmel und nicht die Mauer soll die Grenze unseres Denkens sein.“
Peter Oßenkop