Liebe Mitglieder und Freunde unserer Athener Gemeinde,
das aktuelle Lesezeichen, geschrieben von Pastor Oßenkop, beschäftigt sich mit den Reaktionen aus der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Russisch-Orthodoxen Kirche auf den Krieg in der Ukraine.
Der Krieg und die Kirche
„Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten“, hat die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Annette Kurschus, in einem Interview gesagt. Ein ehrliches und notwendiges Eingeständnis, denn die internationale Politik steht vor dem Dilemma, der Ukraine helfen zu wollen und helfen zu müssen, aber gleichzeitig dadurch nicht den Krieg auszuweiten. Wir können nur bedingt helfen und müssen uns fragen, was und wie viel uns die Unterstützung der Ukraine wert ist. Viele unlösbar scheinende Probleme tun sich auf. Man hat nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie die deutsche Außenministerin neulich bekannte. Wir müssen klug handeln und bleiben trotzdem etwas schuldig. Wir können nur um Vergebung bitten.
Einen anderen Ton hat am sog. „Sonntag der Vergebung“, der in der Orthodoxen Kirche vor Eintritt in die Fastenzeit begangen wird, der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche angeschlagen. In einer Predigt an diesem „Sonntag der Vergebung“ hat Patriarch Kyrill den Krieg in der Ukraine gerechtfertigt, indem er ihn als Kampf des Guten gegen das Böse interpretierte. Das Böse sieht er in Dekadenz und Werteverfall, die aus dem „Westen“ kommen und die orthodox geprägten Gesellschaften in der Ukraine und in Russland unterwandern. Das Böse zeige sich besonders an der Akzeptanz von Homosexualität und der Aufforderung zu „Gay-Paraden“. Dagegen müsse die russische Orthodoxie „in einen Kampf eintreten, der nicht nur eine physische, sondern auch eine metaphysische Bedeutung hat“. Russland müsse sich den sündhaften Mächten der Welt entgegenstellen und dürfe mit diesen Mächten nie Frieden machen.
Ein mir bekannter deutscher Theologieprofessor und Orthodoxie-Experte kommentiert: „Es ist schwer einzuschätzen, ob der Patriarch das tut, weil er es nicht wagt, seine Stimme gegen Putin zu erheben, oder weil er tatsächlich glaubt, dass die Welt so ist, wie sie in den russischen Medien derzeit dargestellt wird – und man fragt sich, welche der beiden Varianten wohl die „schlimmere“ sei.“
Auf jeden Fall finde ich in diesen Äußerungen keine Spur von Selbstzweifel, kein Nachfragen, keine Vorsicht oder Zurückhaltung in der Beurteilung der Situation, keine verantwortungsvolle Abwägung von Alternativen. Diese Nähe, ja diese Verzahnung von „Thron und Altar“, schockiert und empört mich. Wo bleibt die Bitte um Vergebung am „Sonntag der Vergebung“?
Ins Allgemeine gewendet, fällt mir ein kleines Gedicht von Erich Fried ein:
„Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst
aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel“